… oder: Dieser Karton ist das ultimative Böse.

Ich habe frisch etwas über eine Aventurien-Ambiente-Con geschrieben, was auf dem Ulisses-Blog gelandet ist. Da ging es um tolle Kostüme, vollständige Immersion in einer Fantasiewelt und dass wir ein Wochenende lang einfach „normale“ Figuren in Aventurien waren, ganz ohne Welt retten.

In diesem Blog geht es um das Gegenteil davon.

Ich war im Rahmen der Gen-Con in Indianapolis sehr spontan auf einer kleinen LARP-Veranstaltung im Universum von Supernatural. Ca. zwei Stunden vorher hat mich eine Spielerin gefragt, ob ich Lust darauf hätte, und kurze Zeit später trudelte ich dann mit ihr aus Versehen auch noch zu spät am Spielort ein: Einem schlichten kleinen Konferenzraum in einem der Hotels rings um die Gen-Con.

Wir konnten trotzdem noch einsteigen und bekamen kurzerhand Kärtchen mit Werten in Form von Spielkartensymbolen, an der Wand hing ein mit Edding gemaltes Plakat, auf dem erklärt wurde, wie das Ziehen von Karten zu diesen Symbolen über Proben entscheiden könnte. Ja, Proben beim LARP.

Die andere Spielerin wurde zum Jäger erklärt, ich bekam einen kleinen Plastikhaarreifen mit einem silbernen, schiefen Halo und durfte einen Engel mimen, die ja zum Glück menschliche Körper übernehmen müssen. Es gab noch zwei weitere Fraktionen: Dämonen (auch in menschlichen Körpern) und „Kreaturen“, zu denen Geister und Werwölfe und noch anderes schräges Viehzeugs gehörten.

Innerhalb kurzer Zeit wurde mir dann zusammengefasst, um was es für meine Fraktion ging und was an Plot so unterwegs war: Die Winchester-Brüder, also direkt mal die Helden der Serie, hätten ein seltsames Gefäß gefunden und geöffnet, in dem sich eine noch von Gott stammende nahezu allmächtige Kreatur befand, die „Unterhaltung“ verlangt habe. Die Box sei dann nur zu schließen gewesen, indem sich die Brüder opferten, jetzt seien sie mit dem Ding in der Kiste gefangen. Zum Öffnen der Box seien unter anderem ein Engelsschwert nötig und irgendwelche Lösungen für Rätsel.

Und dann verbrachten wir den Rest des Abends damit, in dem kleinen Hotelraum so zu tun, als wären wir immer mal wieder an anderen Orten. Ein kleiner Pappkarton markierte irgendwann das Zentrum einer Säule von „Anti-Licht“, von der eine große Bedrohung ausging, mit Stühlen wurde eine sich ausdehnende Zone von tödlichem Schleim eingezeichnet. Für die Rätsel wurden Karten als Probe gezogen, alle nicht darstellbaren Teile des Geschehens (und das waren logischerweise viele) wurden von der mehrköpfigen Spielleitung einfach erzählt. Eine Reihe NSCs waren tatsächlich Figuren aus der Serie und einer davon war dem Vorbild sogar an Kostüm und Aufmachung und vor allem Intonation extrem ähnlich und somit hatte meine Engelfraktion mit einem Castiel-Impersonator den coolsten Anführer. Dämon und Höllenkönig Crowley, im Original Merk Sheppard mit falschem britischem Akzent und schütterem Haar, war hier eine Frau um die dreißig in geringelten Socken.

Der dürre und männliche Jäger-Kollege Garth fand sich im Körper einer dicklichen Frau wieder, der Geist der Figur von Felicia Day in dem eines nervösen Mannes. Das war zu Beginn etwas verwirrend, schon allein weil ich die Einführung zu Beginn des LARPs verpasst hatte, aber irgendwann … habe ich das alles einfach so genommen, wie es war. Auf jeden Fall hatten die NSCs alle ihre Rollen studiert und die Manierismen und Eigenheiten ziemlich gut drauf.

Viel mehr hat mich das ständige Kartenziehen irritiert. Rätsel lösen? Karte ziehen. Jemanden schubsen? Karte ziehen! Dann warf mich – per Karte Ziehen – ein Dämon in den tödlichen Schleim und ich musste jede Runde eine Probe ablegen, ob ich ihrem Einfluss widerstehe, während ich langsam rauswaten durfte. Und ja, jede RUNDE. Für mich und die nächsten Beteiligten wurde das Geschehen jetzt in Runden eingeteilt und immer abwechselnd alle Proben abgehandelt. Das war mehr als seltsam und zunächst bin ich nach der Ansage „du nimmst Schaden, kannst dich aber langsam bewegen“ himmlische Rache schwörend aus dem Dreck gestapft, habe den Dämon am Kragen gepackt und ihn in gerechter Wut angeschrien. Dann kam eine etwas pikierte SL hinzu, machte alles rückgängig, stellt mich wieder zum Ausgangspunkt und dann durfte ich so alle zwei Minuten einen weiteren Schritt machen.

Ja, das war albern. Ich habe dann einfach eine Show daraus gemacht und bei jedem Schritt einen weiteren Satzteil meines wütenden Engelmonologs vom Stapel gelassen. Ich habe den Weg aus dem übernatürlichen Dreck knapp überlebt (Schadenspunkte wurden durch kleine rote Wäscheklammern am Revers markiert) und durfte dann endlich nach kurzem fragenden Blickkontakt nochmal den Dämon packen und in gerechter Wut anschreien, jetzt aber zehn Minuten später und mit gründlicher Ansage.

Ich gebe zu, an dem Abend sind Welten aufeinandergeprallt. Oft genug und speziell bei dem Regelsystem der Veranstaltung stand ich mit offener Verblüffung zwischen meinen Mitspielern. In der kurzen Pause, in der das Spiel ausgesetzt war, habe ich mich mit einigen der anderen Spieler unterhalten, wie unterschiedlich die Dinge auf den LARPs in Europa gehandhabt werden, die ich kenne. Dass wir viel mehr ausspielen, dass wir viel mehr darstellen und wie wichtig vielen Leuten die Ausrüstung, Gewandung und Tauglichkeit des Spielorts sind. Dass die meisten eher kleine Geschichten erzählen und es uncool geworden ist, die Welt zu retten. Dass das, was die kleine Truppe hier neben der Gen Con am Laufen hatte, eher so etwas wie Pen and Paper mit ein bisschen Improtheater war.

Mir wurde erklärt, dass a) es durchaus LARPs mit deutlich aufwändigeren Kostümen und speziell dafür gebauten Kulissen gibt, so soll ein paar Jahre vorher jemand ein Hotelzimmer vollständig in das Innere eines Steampunk-Luftschiffs verwandelt haben. Und dass b) den Leuten hier die Vorstellungskraft und das Dabeisein am wichtigsten seien.

Du kannst, was du darstellen kannst wäre ja ganz schön und gut, aber damit wären eben ein paar Leute raus. Die Frau, die nur mit ihrem Therapiehund das Haus verlassen konnte und immer wieder Pausen brauchte, hätte vermutlich sonst eher keinen Engel gespielt. Einer der Mitspieler musste immer wieder zurück in den Rollstuhl und konnte nur kurz stehen, ob das bei uns als Darstellung eines Monsterjägers durchgegangen wäre? Alle sollen mitmachen und Spaß haben können, egal ob sie sich eine Gewandung leisten oder körperlich der Beschreibung der Rolle entsprechen können.

Was die Leute von meinen europäischen Eigenheiten mochten, war das Charakterspiel. Für schöne Szenen bekam man gelbe Wäscheklammern angesteckt und ich war durchaus ein bisschen stolz darauf, am Ende eine gute Sammlung von denen zu haben, nachdem ich eine Bibel auf Latein gesegnet, Dämonen und Monster angeschrien, mit himmlischer Rache gedroht und mit meinem Dasein als Werkzeug eines abwesenden Gottes gehadert hatte. Alles Dinge, die auch dem stimmigsten Nordic LARP-Vampire-Organisator gefallen hätten.

Und am Wichtigsten: Ich hatte Spaß. Ich hatte so viel Spaß wie schon lange nicht mehr auf einem LARP. Ich habe ein paar Stunden lang so getan als wäre eine dicke Frau ein dürrer Werwolf, als wäre ich ein nahezu allmächtiges göttliches Wesen, als wären zwei Stühle die Sitze in einem Auto und ein Pappkarton der Thron des ultimativen Bösen. Es hat mir nichts ausgemacht, wie simpel das war, wie teils albern doch die Regeln waren. Ich habe mit all den Leuten, die ihren Rollen größtenteils vom Look her eher locker entsprachen, sehr gerne zusammengespielt. Und am Ende habe ich mich irgendwie jünger gefühlt.

Denn so war LARP hier auch mal. Billig, aber fantasievoll. Mit albernem Weltenretten. All die tollen Gewandungen, die Ambientecons und kleinen Geschichten sind ja fein und sie eignen sich für sehr schöne Fotos (der Gen Con-LARP eher nicht), aber sind wir nicht vielleicht am Ende ein bisschen fantasielos und vor allem hochnäsig geworden? Viele LARPer, die ich hier kenne, hätten in der Tür zu dem schlichten Konferenzraum schon kehrt gemacht oder den Abend damit verbracht, sich über die Veranstaltung lustig zu machen.

Mein Fazit ist: Natürlich gehe ich jederzeit auch weiter auf Hochglanz-Ambiente-LARPs. Aber ich werde, wenn irgend möglich, auch wieder auf solche eher improvisierten kleinen Abende am Rand einer Gen Con gehen und erneut simplen, einfachen, verjüngenden Spaß haben. Die nehmen mich schon wieder. Bei denen darf nämlich jeder mitmachen, so lange man Spaß hat und die anderen respektiert.

In Amerika LARPen sie anders